INTERNET und DEMOKRATIE

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LiquidFeedback verfehlt Demokratietest

Posted by Stephan Eisel - 20. September 2012

Die Entwickler der Software LiquidFeedback haben sich ausdrücklich von der Piratenpartei distanziert, weil sie „nicht für die gesellschaftliche Etablierung von scheinbar demokratischen Verfahren“ verantwortlich sein wollen.

Den folgenden Text können Sie hier ausdrucken.

LiquidFeedback verfehlt Demokratietest

Software-Entwickler distanzieren sich von Piratenpartei

„Wir wollen aber nicht für die gesellschaftliche Etablierung von scheinbar de­mokratischen Verfahren stehen oder verantwortlich sein, die durch die Teil­nehmer selber nicht überprüft werden können. … Daher distanzieren wir uns vom Einsatz unserer Software bei der Piratenpartei Deutschland und ihren Untergliederungen.“ 

Mit diesen klaren Worten wandten sich die Entwickler der Software „LiquidFeedback“ Jan Behrens, Axel Kistner, Andreas Nitsche und Björn Swierczek jetzt gegen den Einsatz ihres Programms für geheime Abstimmungen (http://blog.liquidfeedback.org/2012/09/17/liquidfeedback-entwickler-distanzieren-sich-vom-einsatz-ihrer-software-in-der-piratenpartei/). Die Unterzeichner sind zugleich Vorstandsmitglieder von „Interaktive Demokratie e. V.– Verein zur Förderung des Einsatzes elektronischer Medien für demokratische Prozesse“.

Diese klare Distanzierung entzieht der Piratenpartei die Grundlage für ihr Modell der „flüs­sigen Demokratie“, mit dem sie sich von anderen Parteien grundlegend unterscheiden wollte. Als „Revolution der innerparteilichen Demokratie“  hatten die Piraten den Ein­satz  von „Liquid feedback“ angekündigt und immer noch heisst es auf der Piraten-Home­page:

„LiquidFeedback ist eine Software, die von Piraten entwickelt wurde, um das neue Demokratiekonzept der Liquid Democracy (»Flüssige Demokratie«) umzusetzen. LiquidFeedback kommt innerhalb der Piratenpartei zur Meinungsbildung zum Ein­satz.“

Der Bundesparteitag der Piratenpartei hatte den Einsatz der Software im Mai 2010 be­schlossen, der Berliner Landesverband sie dann – ebenso wie später die die Fraktion der Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus – sogar in ihrer Satzung verankert. Der politi­sche Geschäftsführer der Piratenpartei Johannes Ponader warb sogar damit, er würde im Parteivorstand nur so votieren, wie es die Abstimmungsplattform vorgebe.

Dabei ignorieren die Piraten konsequent, dass weniger als drei Prozent ihrer Mitglieder an den jeweiligen LiquidFeedback-Abstimmungen teilnehmen.  Zum 19. September 2012 hat­te die Piratenpartei nach eigenen Angaben 34.043  Mitglieder. Davon zahlen nur 20.408 einen Beitrag, bei der Abstimmungsplattform „LiquidFeedback“  sind nur 10.807 Mitglie­der registriert. Es war in LiquidFeedback keine Abstimmung zu finden, an der sich mehr 800 Mitglieder beteiligt hätten. Meist waren es weniger als 300.

Die Entwickler von LiquidFeedback sprechen ein noch grundsätzlicheres Pro­blem an:

„Alle Online-Plattformen für demokratische Willensbildung und Entscheidungsfin­dung haben gemeinsam, dass es praktisch nicht möglich ist, gleichzeitig sowohl eine verdeckte Stimmabgabe als auch eine Überprüfbarkeit des Verfahrens zu erreichen. Denn das Internet kann durch die Teilnehmer (im Gegensatz zu einer echten Wahlurne) nicht hinreichend auf korrekte Funktionsweise geprüft werden.“

Dieses Problem bestehe insbesondere dann, wenn Online-Abstimmungen anonym vorge­nommen werden könnten:

„Ein verbindlicher Einsatz von LiquidFeedback kann also nur dann demokratischen Grundsätzen genügen, wenn auf die geheime, pseudonyme oder anonyme Stimm­abgabe verzichtet wird. Denn eine Möglichkeit für die Teilnehmer die korrekte Funk­tionsweise des Verfahrens selber zu überprüfen besteht nur dann, wenn namentli­che Abstimmungen durchgeführt werden und die Teilnehmer selber identifizieren können, welche anderen teilnehmenden realen Personen jeweils welche Stimme abgegeben haben.“

Schon 2009 (http://liquidfeedback.org/2011/08/17/5-jahre-liquid-democracy-in-deutsch­land/) kritisierten die Entwickler von LiquidFeedback, dass die Piratenpartei ihre Software ohne solche namentlichen Abstimmungen einsetzen wollte, „obwohl LiquidFeedback für eine pseudonyme Nutzung überhaupt nicht entwickelt wurde.“ Dennoch beschloss der Pi­raten-Bundesparteitag im Mai 2010 LiqiuidFeedback mit anonymer Nutzung einzuführen. Die LiquidFeedback-Entwickler wiesen erfolglos darauf hin, dass damit nicht nur die Über­prüfbarkeit von Abstimmungsergebnissen ausgeschlossen war, sondern Systemadminis­tratoren die angebliche Anonymität ohne Wissen der Abstimmenden umgehen können:

„Die dadurch angestrebte Pseudonymität kann jedoch auch nur bedingt erreicht werden, da für die Akkreditierung der Parteimitglieder, also beispielsweise für das Sperren ausgetretener Mitglieder, die Einladungsschlüssel für LiquidFeedback im Eintrag des Parteimitglieds in der Mitgliederdatenbank gespeichert werden müssen. Hierdurch ergibt sich eine indirekte Verknüpfung des Benutzerkontos in LiquidFeed­back mit einer Person. Durch gezieltes Zusammenführen der Informationen aus der Mitgliederverwaltung mit denen aus der Datenbank des LiquidFeedback-Systems ist eine jederzeitige Depseudonymisierung einzelner oder aller Benutzer möglich. Dies kann berechtigt – beispielsweise auf Vorstandsbeschluß oder richterliche An­ordnung – oder auch unberechtigt und unbemerkt geschehen.“

Nach Ansicht der LiquidFeedback-Entwickler liegen die Alternativen klar auf der Hand:

„Für demokratische Prozesse gilt deshalb:

– Entweder keine geheime, pseudonyme oder anonyme Stimmabgabe

– oder keine Überprüfbarkeit durch die Teilnehmer

– oder Verzicht auf das Internet und Verwendung einer herkömmlichen Wahlurne.“

Diese zutreffende Analyse trifft auch andere Internet-Abstimmungstools wie sie beispiels­weise bei „Online-Bürgerhaushalten“ oder bei der von der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages mit der Software „Adhocracy“ ein­gesetzt werden. Dort sind sogar Mehrfachabstimmungen möglich, da zur Teilnahme ledig­lich eine e-mail-Adresse angegeben werden muss.

Auch wenn nach Auskunft mancher Betreiber mit solchen Online-Abstimmungen nur „un­verbindliche Meinungsbilder“ erstellt werden, entfalten die Ergebnisse dieser problemati­schen Verfah­ren ihre eigene Wirkung: der Magie der Zahl erliegen Entscheidungsträger ebenso gerne wie die öffentliche und veröffentlichte Meinung – und zwar unabhängig da­von welche Be­teiligung tatsächlich hinter solchen Abstimmungen steht, wie wenig reprä­sentativ sie sind und wie leicht sie wegen ihrer Intransparenz manipulierbar sind.

Es spricht Bände, dass selbst die Entwickler der notwendigen Software die Piraten-Konzepte einer „liquid democracy“ als nur „scheinbar de­mokratische Verfah­ren“ ablehnen und sich gegen deren „gesellschaftliche Etablie­rung“ wenden.

10 Antworten to “LiquidFeedback verfehlt Demokratietest”

  1. LQFD ist nicht demokratisch.
    Die geheime Wahl, den Persönlichkeitsschutz , ein oder der Grundpfeiler unserer demokratischer Wahlen, auf dem Altar der Überprüfbarkeit von Wahlen zu opfern ist undemokratisch und verfassungswidrig. Das ist wohl die Entfremdungder Entwickler von Demokratie durch sogenannte „soziale Netzwerke“ wie Face(Slave)book. deren Teilnehmer in einer Fakewelt jeden demokratischen Boden verloren haben.
    LQFD mit Klarnamen taugt lediglich als Traumtool für Diktatoren und Despoten.
    LQFD mit Klarnamen = SED 2.0. „Kontrolle statt Freiheit“

  2. Mono said

    Wahlen sollen anonym und nachprüfbar sein und genau das ist technisch unmöglich. Das ist der Punkt un dieser Punkt ist seit Jahren bekannt. Die Piraten haben das nie bestritten und deshalb ist Liquid Feedback auch keine Abstimmungs-Software. Wer das nicht verstanden hat und deshalb daraus eine News-Meldung macht, hat keine
    Ahnung von der Materie oder hat die letzten jahre hinter dem Mond gewohnt.
    So, wie Sie offensichtlich, Herr Eisel.

    • Wahlen an der Urne sind durch die Abgabe der Stimmzettel anonym und zugleich ist durch das Wählerverzeichnis eine Mehrfachabstimmung ausgeschlossen. Nachprüfbar sind sie u. a., weil die Auszählung öffentlich stattfindet. Genau dieses findet bei LiquidFeedback nicht statt. Im übrigen verwenden die Piraten LiquidFeedback natürlich als Abstimmungssoftware z. B. bei der Frage der Zulässigkeit von Anträgen zu Parteitagen – ganz zu schweigen vom Geschäftsführer der Piratenpartei, der sein Abstimmungsverhalten im Bundesvorstand erklärtermaßen nach den LiquidFeedback-Abstimmungsergebnissen richtet. Ich empfehle Ihnen den Text der Entwickler von LiquidFeddback zu lesen:
      Wir wollen aber nicht für die gesellschaftliche Etablierung von scheinbar de¬mokratischen Verfahren stehen oder verantwortlich sein, die durch die Teil¬nehmer selber nicht überprüft werden können. … Daher distanzieren wir uns vom Einsatz unserer Software bei der Piratenpartei Deutschland und ihren Untergliederungen.“

      • Mono said

        Seit drei jahren diskutieren die Piraten das Problem, gleichzeitig online, anonym und nachprüfbar (nicht) abstimmen zu können. Die LF-Entwickler haben sich wegen dieses Dilemmas bereits vor Jahren aus der LF-Entwicklung bei den Piraten verabschiedet.
        „In der Piratenpartei wird und wurde eine Debatte über den Datenschutz bei „Liquid Feedback“ geführt. Der Streit erhitzt sich vor allem an der Frage, inwieweit eine Zuordnung zwischen Personen und Beiträgen möglich sein soll. Auf der einen Seite stehen Mitglieder, die sicher stellen wollen, dass Wahlen geheim verlaufen. Auf der anderen Seite stehen die Verfechter absoluter Transparenz über Entscheidungen in der Partei.“
        http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/online-mitbestimmung-piraten-streiten-ueber-demokratie-wunderwaffe-a-710552.html
        Der Artikel ist von 2010, Herr Eisel. Von 2010!!! Und jetzt (2012) kommen Sie mit einer Möchtegern-Newsmeldung mit exakt gleicher Kernaussage. Weniger Up-to-Date kann man ja gar nicht sein.

      • Die Diskussion bei den Piraten ist mir wohl bekannt und der zitierte Spiegel-Artikel von 2010 steht ja im zusammenhang mit dem Bundesparteitag im gleichen Jahr, die die anonyme Nutzung von LiquidFeedback beschlossen hat. In der Tat haben die Entwickler von LiquidFeedback schon damals darauf hingewiesen, dass dies elementare demokratische Grundsätze verletzt. Inzwischen haben der Piraten-Landesverband Berlin und dessen Fraktion im Abgeordnetenhaus dieses problematische Verfahren sogar in ihrer Satzung festgeschrieben. Die Bundespartei setzt es nach wie vor nicht zur parteiinternen Entscheidungsfindung ein, sondern wirbt damit als vermeintlich neuen demokratischen Weg.

        Das die LiquidFeedback-Entwickler jetzt nicht nur auf die Problematik der Anwendung des Verfahrens hinweisen, sondern sich ausdrücklich von der Piratenpartei distanzieren, ist eine neue Nachricht vom September 2012. Ich halte diese Entwicklung für sehr bemerkenswert, weil sich damit die für die Software Verantwortlichen ausdrücklich von der Partei distanzieren, die die Anwendung von LiquidFeedback zu einem Kern ihrer Parteiidentität stilisiert, um sich von anderen Parteien zu unterscheiden. Man wird sehen, ob Piraten jetzt konsequent genug sind, sich von einer Methode zu verabschieden, die nach Aussage ihrer Erfinder nur „scheinbar demokratisch“ ist.

  3. Justus said

    Diese „zutreffende Analyse“ ist grundsätzlich fehlerhaft, es gibt keine „Überprüfbarkeit durch Teilnehmer“ durch Transparenz. Gerade dass die Mitglieder von Interaktive Demokratie e.V. dies standhaft behaupten beweist ihre grundsätzliche Inkompetenz.
    Vereinfacht man Liquid Feedback mal so weit wie möglich auf den Sicherheitsmechanismus Transparenz, nehmen wir also an LQFB ist ein ideales Whiteboard.
    Annahme:
    LQFB ist ein ideales Whiteboard mit folgenden Eigenschaften:
    1. Das Whiteboard kann von jedem gelesen werden.
    2. Jeder kann seinen Namen auf das Whiteboard schreiben.
    3. Die Stelle an der der Name steht entscheidet über Zustimmung oder Ablehnung des entsprechenden Themas.

    Jetzt gibt es aber ein Problem: Aus technischen Gründen können wir nicht dabei sein wenn die Namen aufgeschrieben werden. Das heißt wir können nur das Ergebnis anschauen, nicht aber wie es zustande kam.
    Normalfall:
    Das Ergebnis steht da, alle Teilnehmer kucken auf das Ergebnis und sehen ihre Namen an der richtigen Stelle stehen. Die Summen stimmen.
    Fehlerfall:
    Das Ergebnis steht da, ein oder mehrere Teilnehmer melden, dass ihre Namen nicht an der richtigen Stelle stehen. Frage: Was ist passiert?

    Möglichkeiten:
    1. Irrtum: Die Meldungen sind unberechtigt, da die Teilnehmer sich beim aufschreiben geirrt haben.
    2. Manipulation des Melders: Die Meldungen sind unberechtigt, da die Teilnehmer absichtlich falsch aufgeschrieben haben.
    3. Manipulation von Dritten: Die Meldungen sind berechtigt, da Dritte die aufgeschriebenen Namen verändert haben.

    Die drei Möglichkeiten sind von aussen nicht zu unterscheiden. Und damit ist die „Nachvollziehbarkeit“ kaputt.
    Denn wenn ich es „nachvollziehen“ könnte was passiert ist, müsste ich einen der drei Fälle nachvollziehen können. Daraus folgt: Liquid Feedback ist leider Broken by Design, denn selbst großflächige Manipulationen können nicht aufgedeckt werden.
    Mal ganz davon abgesehen, dass die tatsächliche Implementation von Liquid Feedback so grottenschlecht ist, dass dadurch nochmal mehr potentielle Angriffe zustande kommen.
    Es ist wohl ganz gut, dass es nie das versprochene Sicherheitsaudit für Liquid Feedback gab, es wäre vernichtend ausgefallen.

    • Sie werfen zwar den LiquidFeedback-Entwicklern „grundsätzliche Inkompetenz“ vor, wenn sie „nicht für die gesellschaftliche Etablierung von scheinbar demokratischen Verfahren“ verantwortlich sein wollen, weil die piratenpartei LiquidFeedback als Abstimmungstool einsetzt. Zugleich schreiben Sie: „Liquid Feedback ist leider Broken by Design, denn selbst großflächige Manipulationen können nicht aufgedeckt werden.“ Auch das spricht ja dagegen, die Software als Eingangstor in ein neues Zeitalter der „liquid democracy“ zu stilisieren wie dies die Piratenpartei tut.

      • Justus said

        Nur muss man dazu die grundsätzliche Forderung der Liquidd Feedback Entwickler berücksichtigen: Ihnen geht es nicht darum „die gesellschaftliche Etablierung von scheinbar demokratischen Verfahren“ zu verhindern, sondern darum ihr Spielzeug den Piraten mit Klarnamenszwang aufs Auge zu drücken.
        [quote]Ein verbindlicher Einsatz von LiquidFeedback kann also nur dann demokratischen Grundsätzen genügen, wenn auf die geheime, pseudonyme oder anonyme Stimmabgabe verzichtet wird.[/quote]
        Liest man den Satz mit Verstand steht da: LiquidFeedback kann nur dann demokratischen Grundsätzen genügen, wenn es demokratische Grundsätze verletzt.
        Geheime Abstimmung sind ein Grundpfeiler der Demokratie, und so verstößt bereits der derzeitige Pseudonyme Einsatz von LiquidFeedback gegen die Satzung der Partei, das Parteiengesetz und letztenendes auch gegen das Grundgesetz… Es ist ein Trauerspiel was sich da seit 2010 entfaltet, und wie sich einige ansonsten intelligente Menschen selbst in’s Abseits stellen die es gar nicht nötig hätten. Besagte Probleme wurden seit 2010 an jeden Bundesvorstand herangetragen, und keiner fühlte sich bemüßigt etwas zu ändern.

      • Die Motive der Feedback-Entwickler kann ich nicht beurteilen. In der Sache bestätigen sowohl deren Erklärung als auch Ihre Hinwiese die auf diesem Blog vielfach belegte Kritik an Online-Abstimmungen.

      • Justus said

        Naja, die Intention der vier Herren lässt sich mit geringem Zeitaufwand erkennen. In der Sache geht es ihnen eben um die Etablierung eines scheinbar demokratischen Verfahrens nur halt unter ihren Bedingungen. Die Klarnamenspflicht die sie sich wünschen ist mindestens so undemokratisch wie jede andere Art von Onlineabstimmung, sogar noch undemokratischer als manch anderer Vorschlag.

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